Zwanzig durchbohrte Steine aus Togo
Ein Abend im Landesmuseum zum Thema Kolonialismus und Mission
Zwanzig durchbohrte Steine, die sich an einer Schnur auffädeln lassen und zwei keilförmige Steine: Sie sind Teil der Sammlung mehrerer hundert Objekte aus Afrika im Lippischen Landesmuseum. 1911 brachte der Missionar Wilhelm Fricke, ein Bauernsohn aus Lieme, diese Steine von der damaligen deutschen Kolonie in Westafrika nach Lippe. Ursprünglich vielleicht als Zahlungsmittel genutzt, galten sie vor rund hundert Jahren im Volk der Ewe als vom Himmel gefallene „Gottessteine“, als „Götterbeile“ oder „Donnerkeile“, wie Fricke berichtete. Er entwendete einige solcher Steine, wohl in der Überzeugung, dass diese bei den getauften Ewe keinen Platz mehr haben sollten.
Nahm er ihnen ein Stück ihrer Kultur weg? War es Raub? Sind diese und andere Objekte aus Afrika ein unrechtmäßiger Besitz des Lippischen Landesmuseums? Und sollten sie nach Togo zurückgegeben werden? Dass es auf solche Fragen keine einfachen Antworten gibt, wurde an diesem Abend schnell klar.
Eingangs hatten die Historiker Amir Theilhaber und Julia Schafmeister über den Weg der Steine vom Land der Ewe nach Detmold berichtet. Die Provenienzforschung, also die wissenschaftliche Suche nach der Herkunft und den Umständen des Transfers von völkerkundlichen Stücken und Kunstwerken, gibt es schon lange, erläuterte Museumsdirektor Michael Zelle: „Bisher war sie aber eher ein Nischenthema.“ Erst seit das öffentliche Bewusstsein für die eigene Kolonialgeschichte sensibilisiert ist, richtet sich das allgemeine Interesse auf die Herkunft der Objekte in den Museen Europas. Auf die durchbohrten Steine „haben wir im Moment einen westlichen Blick“, sagte Zelle. „Hier müssen wir weiterforschen und dazu auch Kontakt nach Togo aufnehmen. Ein Museum muss sich Netzwerke schaffen.“
Dabei ist die Norddeutsche Mission (NM) in Bremen gerne behilflich. Heike Jakubeit ist Generalsekretärin der NM und damit der Nachfolgeorganisation jener Missionsgesellschaft, in deren Auftrag Wilhelm Fricke einst nach Afrika ging. Heute ist sie eine Gemeinschaft von sechs gleichberechtigten Partnerkirchen: vier in Deutschland – dazu zählt auch die Lippische Landeskirche – und zwei in Afrika, in Ghana und Togo. Pastorin Jakubeit: „Unsere Weltsicht dürfen wir nicht absolut setzen. Wir müssen immer die Perspektive aus Togo mit im Blick haben.“
Kirche und Museum sind gemeinsam gefragt, so Sabine Hartmann, landeskirchliche Referentin für ökumenisches Lernen, und hob die Bedeutung von Veranstaltungen wie dieser hervor: „Aktueller Rassismus, Eurozentrismus, aber auch ein ungerechtes Weltwirtschaftssystem wurzeln nicht nur, aber eben auch in der Kolonial- und Missionsgeschichte. Dieses zu analysieren und dem entgegenzutreten, sind wichtige gesellschaftliche und kirchliche Aufgaben.“
Dazu passte es gut, dass der Detmolder Eine-Welt-Laden Alavanyo an diesem Abend Wein und Saft ausschenkte, aber auch andere Produkte aus fairem Handel zum Verkauf anbot.
Wie geht es nun also weiter mit den Steinen, die seit 1911 in Detmold sind? Direktor Zelle gab auch zu bedenken: „Derzeit wissen wir noch nicht, ob diese Steine nach dem Entzug aus dem religiösen Kontext heute in Togo noch eine Bedeutung hätten – und wenn ja, welche?“ Solchen Fragen müsse die Forschung nachgehen, und zwar öffentlich und transparent. Die völkerkundlichen Sammlungen des Landesmuseums würden künftig einen neuen Stellenwert bekommen, kündigte Michael Zelle an. Einfach zurückgeben ist für ihn keine Lösung: „Forschung ist immer schwieriger als ein aktivistischer Ansatz.“ Die Diskussion zwischen Kirche und Museum war ein verheißungsvoller Anfang.
08.11.2022